Von Christian Wolff
AHLEN Wer in Ahlen mit „Stolpersteinen“ geehrt wird, sollten die Bürger und die Politik entscheiden. Diese Auffassung vertrat Heinrich Artmann (FWG) am Montagabend im Schul- und Kulturausschuss – und erntete für seinen Vorstoß mächtig Gegenwind.
Christoph Wessels, Fachbereichsleiter für Schule, Kultur und Weiterbildung, hatte zuvor die vergangenen 13 Jahre, in denen das Projekt des Künstlers Gunter Demnig in Ahlen umgesetzt wird, rückblickend zusammengefasst. So seien aktuell 142 jener quadratischen Messingtafeln auf Ahlener Bürgersteigen und Wegen zu finden – immer dort, wo NS-Opfer einst wohnhaft waren. „Wir haben im Januar die zehnte Verlegerunde gehabt und waren schon mehrfach der Meinung, das Ganze wäre abgeschlossen“, sagte Wessels. „Aber die Hinweise aus der Bürgerschaft nehmen eher zu als ab“, bestätigte Sachbearbeiter Manfred Kehr. Denn inzwischen würden nicht mehr nur Namen derjenigen Ahlener auf „Stolpersteinen“ verewigt, die Opfer der Judenverfolgung geworden sind, sondern auch politisch Verfolgte, Euthanasieopfer und weitere Menschen, die im Dritten Reich in irgendeiner Form gelitten haben.
Doch genau daran störte sich Heinrich Artmann. Er habe den Eindruck, dass Demnig seine Tätigkeit inzwischen mehr als Geschäft betreibe und daher immer größere Kreise vermeintlicher Erinnerungskultur ziehen will. „Warum soll darüber von irgendwelchen Hauptamtlichen hinter verschlossen Türen entschieden werden?“ Die Politik sei schließlich für solche Dinge gewählt, meinte der Vertreter der Freien Wähler. Man könne doch nicht jemanden, der im Dritten Reich wegen seiner Parteizugehörigkeit geächtet war und nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv am Aufbau einer Diktatur gearbeitet hat, mit den verfolgten Juden auf eine Stufe stellen, so Artmann. Als Beispiel nannte der FWG-Vorsitzende den KPD-Funktionär Josef Ledwohn, der zeitweise durch die Gestapo inhaftiert gewesen ist und später bei der SED in Ost-Berlin Karriere machte.
Manfred Kehr zeigte wenig Verständnis für diese Auffassung. „Ich warne vor solchen Haltungen, Menschen in Opfer erster oder zweiter Klasse einzuteilen“, sagte er. „Wenn jemand zwischen 1933 und 1945 ein Opfer der Nazis war und später in Israel zum Kinderschänder geworden ist, bekommt er trotzdem einen ,Stolperstein'.“ Das hielt Heinrich Artmann für überzogen: „Wenn sich jemand für eine Diktatur eingesetzt hat, kann man ihn nicht genauso ehren wie einen, der wegen seiner Religion verfolgt worden ist.“
Petra Pähler-Paul wirkte sichtlich entrüstet über die Meinung des FWG-Chefs. „Die Verlegung von ,Stolpersteinen? ist keine Ehrung“, meinte sie. „Man kann Täter und Opfer gleichzeitig gewesen sein. Man kann das nicht durchklassifizieren.“
Iris Binder (CDU) bekannte, dass sie sich außerstande sehe, eine Entscheidung über Opfernamen zu fällen. Gabi Duhme (SPD) meinte, dass das Verfahren in den vergangenen Jahren in guten Händen gewesen sei. „Das konnte nur gelingen, weil wir uns politisch zurückgehalten haben.“ Die Idee des Künstlers als „Geschäftemacherei“ zu sehen, wertete sie als „ungeheuerlich“. Auch Petra Pähler-Paul wertete dies so.
Außer Heinrich Artmann stimmte der gesamte Ausschuss letztlich gegen den FWG-Antrag, die Auswahl der „Stolperstein“-Namen in die Politik zu verlegen.
Stolperstein Josef Ledwohn